Ha, habt ihr gedacht, wir gehen schlafen in Kandalakscha, ne? War ja lang genug der Tag. Und so spannend. Sind wir bestimmt kaputt. Das mag alles so gestimmt haben. Aber nach 9 Tagen im Auto sind wir eben auch ein bisschen weich in der Birne.
Aus ‘wir treffen uns kurz so gegen ein Uhr Nachts in Kandalakscha mit paar Teams auf nem Parkplatz und dann ab ins Zelt’ wird deshalb der Doppeletappentag der 1.725 Kilometer, 2.436.841 Schlaglöcher und beinahe Tank-Katastrophe.
Dabei wollen wir eigentlich echt das Zelt aufschlagen. Nicht direkt in Kandalakscha, weil das gewinnt nun wirklich keinen Preis bei ‚Unser Dorf soll schöner werden’, aber so auf der Ecke…. Auf der Ecke ist aber alles Sumpf. Und Mücken. Und St. Petersburg klingt doch so verlockend. Wir sind zwar schon 13 Stunden unterwegs. Aber ej, die 1.100 und paar zerquetschte Kilometer kriegen wir doch unter. Auf der Karte ist da ne schöne rote Fernstraße eingemalt. Sieht super aus.
Nun ist der Russe nicht böse, aber hinterhältig ist er doch. Der weiß, dass St. Petersburg verlockend klingt, er da so eine schöne rote Linie in die Karte gemalt hat und es keinen anderen Weg gibt. Deshalb reißt er einfach mal auf einer Länge von knapp 200 Kilometern komplett die Straße auf, lässt statt Asphalt nur Schotter, Sand, Schlaglöcher, Schlaglöcher, SchlaglöcherSchlaglöcherSchlaglöcher viel mehr Schlaglöcher dann noch ein paar Schlaglöcher über und legt sich kichernd in den Straßengraben, wenn da so zwei Deppen nachts versuchen, ihren V8 bei kurz über Schritttempo nicht durchbrechen zu lassen.
Die Russen, die nicht kichernd im Straßengraben liegen, arbeiten in losen, scheinbar nicht zusammenhängenden Trupps und ohne genaue Aufgabenstellung an der weiteren Zerstörung der Straße. In der Nacht von Sonntag auf Montag um halb drei.
Als wir mit noch gut gefülltem Tank an einem recht rockig aussehenden Jeep anhalten, der liegengeblieben ist, wollen wir helfen. Der Jeep braucht Benzin. Unser Ersatzkanister ist leer. In der universellen Händefüße-Sprache ist nicht genau zu ermitteln, ob wir uns darauf einigen, zur nächsten Tankstelle zu fahren und mit gefülltem Kanister wiederzukommen. Oder ob der Freund des Jeep-Pärchens genau mit diesem Auftrag schon unterwegs ist. Die Lösung finden wir gut 20 Kilometer die Straße runter. Wir überholen den Freund des Jeep-Pärchens, der zum Reservekanister füllen los ist. Und nun ebenfalls mit leerem Tank am Straßenrand steht. In der Nacht von Sonntag auf Montag um drei.
Weil die nächste Tankstelle dann aber sicher nochmal 70 Kilometer auf sich warten lässt (= 183.956 Schlaglöcher), versetzen wir dem Samariter-Herz einen Stich und segeln an ihr vorbei, statt unsere Jeep-Freunde zu retten. In der Nacht von Sonntag auf Montag gegen vier.
Der Schutzpatron der Jeep-Fahrer findet das nicht so lustig. Denn obwohl sich unsere Tanknadel nun allmählich gen Null neigt, nimmt er für die gefühlten nächsten 500 Kilometer alle Tankstellen von der Straße. Und als wir mit der Nadel satt im roten Bereich dann doch noch eine finden, die er übersehen hat, sitzt da eine von diesen nicht bösen, nun aber sehr hinterhältigen Russinnen (Tankstellenrussinnen sind die schlimmsten Russinnen) an der Kasse, an der man in Russland vor dem Tanken die Säule freischalten muss. Sie schüttelt angesichts der EC-Karte den Kopf, schüttelt angesichts der Kreditkarte den Kopf, schüttelt angesichts der Euroscheine den Kopf. Und wer hat schon Rubel, wenn er mit fast leerem Tank und ohne einen Tropfen im Ersatzkanister durch Russland fährt? In der Nacht von Sonntag auf Montag um Viertel vor sechs.
Die Stimmung im Wagen steigt enorm. Die Karte gibt – außer dieser schönen roten Linie – nicht viel her. Und als nach noch mehr Kilometern und sich zu Bodenwellen verebbenden Schlaglöchern Tankstellen ein durchgehendes Nein bleiben, beschließen wir, von der roten Linie runter und im knapp 40 Kilometer davon ab liegenden Belomorsk unser Glück zu suchen. Die Schilder an der Straße zeigen zwar nur ein Bett und eine Kaffeetasse. Aber auf der Karte ist ein Hafen eingezeichnet. In der Nacht von Sonntag auf Montag um sechs.
Mit mehr Fatalismus als Vertrauen brummen wir auf dem letzten roten Tankanzeigerstrich Richtung Nordmeerküste. Zu allem Überfluss nimmt das nahende Meer jetzt auch die Sonne weg und tauscht sie gegen Wolken und kühle Temperaturen. Mit ihren letzten Strahlen fahren wir durch Sosnovets. Zeigen für einen alten Mann am Straßenrand auf unseren Tankdeckel. Und der sagt, für jeden, der kein russisch kann klar und deutlich zu verstehen: Ja, natürlich. Hier nur kurz 20 Kilometer die Straße runter finden Sie eine Tankstelle in Belomorsk. Wir glauben ihm. In der Nacht von Sonntag auf Montag um kurz nach sechs.
Ob Belomorsk ein Bett hat? Eine Kaffeetasse? Ob da im Wasser ein Hafen war? Keine Ahnung. Belomorsk hat eine Tankstelle. Und alle alle 4 Fäuste fliegen hoch. Montagmorgen um halb sieben.
Belomorsk hat auch kaputten Charme, eine kaputte Brücke, einen funktionierenden Geldautomaten und offenes W-Lan am noch geschlossenen Café Europa. Wir lieben Belomorsk.
Zwischen Belomorsk und St. Petersburg liegen viele weitere Kilometer, stehen Unmengen an Bäumen und finden sich zum Glück nicht mehr so viele Schlaglöcher. Es dauert nochmal rund 11 Stunden, die Strecke zu fahren, bis wir uns in den Feierabendverkehr von St. Petersburg quetschen, über einige Umwege das aus dem offenen W-Lan morgens gebuchte Hostel und seinen sich als unscheinbare graue Stahltür tarnenden Eingang finden.
Viel werden wir von diesen 11 Stunden in einer Woche nicht mehr wissen.
Teamstatus: Wir ziehen nach Belomorsk.
Arne fährt durch ein Schlagloch. Sören auch. Arne bessert sein Russisch beim Wegefinden mit einem Polizisten auf. Sören versucht, im Verkehr von St. Petersburg wenigstens wie ein Russe Auto zu fahren.
Strecke: Kandalakscha -> St. Petersburg
Wetter: Sonne im Land, Winter am Meer.
Wagen: Wir haben kurz mal das Fahrwerk von nem Citroën druntergenagelt. Diese sportliche Federung war auf Dauer nix. Noch 2,3 Millionen Schlaglöcher mehr und die Straßenlage ist kurz vor seekrank. Aber jetzt so: Schwebt.